Peter Reitberger
Ein Gespräch mit François Maher Presley


François Maher Presley: Ihre Arbeiten erscheinen wie durch zwei Bereiche geprägt: harte, graphische Linien; sehr flächige Materialität in starken, aus dem Bild herausspringenden Farben. Zusammen aber bedingt das Eine das Andere, um die Bilder zusammenzuhalten. Wie entwickeln Sie Ihre Farbkompositionen, und ist es so, dass die strenge Graphik das Bild zusammenhält, ihm eine Linie zeichnet?
Peter Reitberger: Das Hauptinteresse in meiner Malerei gilt zunächst der Ausdruckskraft der Farbe. Farbe vermittelt sich am überzeugendsten über die Fläche: Zunächst entsteht eine erste Farbfläche, zumeist aus einem mutwilligen Impetus heraus, aus purer Lust auf eine bestimmte Farbigkeit oder ein bestimmtes Farbmaterial. Im nächsten Schritt reagiere ich auf diese erste Fläche mit der weiteren, meist irgendwo im komplementären Bereich liegenden Farbfläche, sowohl vom Farbwert her als auch von ihrem haptischen Charakter her, mit dem Ziel, Spannung zu erzeugen. Wo diese beiden Flächen aneinandergrenzen, entstehen materialbedingt Verwerfungen, die nichts mit graphischen Abgrenzungen oder gar Gerüsten zu tun haben. Manchmal sind die Flächen so schmal, dass sie wie Linien erscheinen – es handelt sich aber immer um Flächen.
 
Wenn am Anfang die Farbigkeit, die Lust auf Farbigkeit steht, stellt sich schnell die Frage nach dem Inhalt, den Sie transportieren wollen. Entwickelt dieser sich mit dem Vorgang der Komposition, ähnlich wie Kafka einmal sagte, dass sich seine Geschichten beim Schreiben selbst fortschreiben, oder geht es Ihnen vor allem erst einmal um Komposition von Ästhetik?
Nicht so sehr die Komposition von Ästhetik steht im Vordergrund als vielmehr die dialektische Entwicklung weiterer Farbfelder mit der Zielrichtung einer harmonisierenden Spannung. Eine “prozesshafte” - um bei Kafka zu bleiben - Entwicklung des Bildes beginnt. Dabei ist mir bewusst, dass die Gestaltung der Farbflächen immer in Bezug zu meiner Autobiografie steht.
 
Sie sprachen von einem Bezug der gestalteten Farbflächen zu Ihrer Biografie. Ihre Eltern waren im diplomatischen Dienst. Sie reisten viel mit ihnen, lebten in unterschiedlichen Kulturen, ja Zeiten, kann man sagen. Verbinden Sie Erlebnisse mit Farben, mit Strukturen, und setzen Sie gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Zusammenhänge in der Gestaltung Ihrer Arbeiten um?
Das Nebeneinander unterschiedlicher Farbflächen spiegelt die vielfältigen internationalen Wirtschafts- und Kulturräume wider, in denen ich aufwuchs. Lokalkolorit konkurriert mit schemenhaften atmosphärischen Erinnerungen an örtliche Gegebenheiten.
 
Eine harmonisierende Spannung allein reicht sicherlich, um eine äußere Wirkung zu transportieren und bleibt zuletzt nur in Ästhetik zu bewerten. Worin aber besteht das inhaltliche Angebot für die Betrachter, für eine Gesellschaft, um Entwicklung aus dem Gedanken Ihrer Arbeit heraus auch hier zu gestalten?
Meine Malerei beschreibt ein Lebensgefühl in einem globalisierten Weltgefüge aus eigenster Lebenserfahrung heraus. Es bietet dem Betrachter die Möglichkeit, sich in diesen globalen Landschaften zu spiegeln und vielleicht seinen Stellenwert in punkto Verantwortung zu finden, gerade jetzt, wo ein weltweiter Klimawandel jeden einzelnen Menschen fordert.
 
Diese Sichtweise auf Ihr sehr umfangreiches Werk wird dem schnellen Betrachter eher nicht deutlich. Hilft hier vielleicht auch das unbewusste Empfinden eines jeden Einzelnen, das Farbe, Struktur und Form von den Arbeiten übernimmt, einen Eindruck, eine Suggestion bereitwillig annimmt und diese unbewussten Eindrücke mit den eigenen Erfahrungen, mit eigenen Sinnbildern und Einsichten zu einer gemeinsamen Empfindung gegenüber Ihrem nicht offensichtlichen Anliegen vermengt, also faktisch auch ein bisschen Ihr Lebensgefühl, Ihre Empfindungen und Ihre Fortbewegungsvorschläge, wenngleich auch nun um das Empfinden des Betrachters erweitert, überträgt?
Dem Betrachter fällt gewiss die zunächst heterogene Malweise meiner Bilder auf, d. h., dass die jeweiligen Farbfelder eines Bildes immer in einer bestimmten Technik gearbeitet sind und so mehr oder weniger hart aneinander grenzen. Diese separaten Farbfelder repräsentieren die unterschiedlichen Regionen, die ich seit meiner frühesten Zeit kennengelernt habe. Diese collagierende Maltechnik entwickelt sich durch den Malprozess zu einer spannungsgeladenen Harmonie, d.h., alle Gegensätze unterschiedlicher Regionen reagieren miteinander. Hier liegt mein Angebot an den Betrachter, sich mit der Vielfalt der Farben zu identifizieren, um mehr Bewusstsein für unsere globalisierte Welt und damit seine eigene Position darin zu entwickeln.
 
Es fallen mir vier von Ihnen verwendete Formate auf. Zum einen 160 cm x 160 cm, dann das kleinere Format von 120 cm x 120 cm, sowie 40 cm x 50 cm und seit Neuem das kleine Format 15 cm x 15 cm. Die Maltechnik ist überall die gleiche. Es gelingt auch überall, auch bei den sehr kleinen Formaten, ausgewogen selbst große Flächen zu setzen, ohne dass der Rahmen gesprengt wird. Wodurch bedingt sich in Ihrer Arbeit die Wahl der unterschiedlichen Formate, und steht auch bei den kleinen Arbeiten die eben von Ihnen beschriebene Idee im Mittelpunkt?
Das Quadrat ist das neutralste Bildformat. Da ich am Anfang noch nicht weiß, wohin mich der Malprozess treibt, halte ich mir die Festlegung auf oben und unten so lange wie möglich offen. In den großen Formaten habe ich die abstrakten globalisierten Landschaftsbilder entwickelt, die durch ihre Größe allein schon eine nicht zu übersehende Präsenz erzielen. Die rechteckigen Hochformate mit landschaftlichem Charakter empfand ich als eine Herausforderung, weil so landschaftliche Schichtungen ganz andere, noch viel abstraktere und damit mehrdeutigere Aspekte bekommen. Dem stehen die ganz kleinen Formate mit derselben Thematik entgegen. Auf handtellergroßen Formaten entstehen komplette abstrakte Landschaften, die mit den großen Formaten zusammen auf eine mikro- makrokosmosartige Beziehung verweisen, vielleicht in Reminiszenz an den Maler Wols, der in den 40-er Jahren auf handtellergroßen Radierplatten seine Handlinien einritzte.

Gerade die kleinen Bilder erscheinen fast etwas therapeutisch. Man mag sich vorstellen, dass der Betrachter in das Werk Reitbergers eingreift und durch die ganz persönliche Wahl und Zusammenstellung der ihn ansprechenden Bilder sich einbringt, am Werk, an Größe und Umfang, an Aussage und Ausdruck beteiligt wird. Kunst als Kommunikation zwischen Künstler und Betrachter, auch eigene Weltsicht einbringen, eine Art bildhafte Diskussion?
Franz jagt in seinem total verwahrlosten Taxi quer durch ganz Bayern – Dieses Panagramm, ein Satz, in dem jeder Buchstabe unseres Alphabets mindestens einmal vorkommt, ist der Titel einer umfassenden Installation aus vielen dieser kleinen Landschaftsbilder, die zum ersten Mal im September 2009 in der Fabrik der Künste gezeigt wurde, später in erweiterter Form mit neuen Arbeiten gezeigt wird. Die 26 Buchstaben stehen für je eine Farbe, und der Satz an sich stellt ein wunderbares surreales Bild meines nomadisierenden Wanderlebens in früher Jugend dar. Zu dieser Reise möchte ich den Betrachter gern einladen.

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